Mittwoch, 10. November 2010

10.November 1989

Ja,ja ich weiß! Heute ist der 10.11.2010

Aber eine nette Bloggerin hat mich an den Tag vor 21 Jahren erinnert und ich habe mal in meinen alten Aufzeichnungen gewühlt und will euch mal ein paar Zeilen von damals zeigen.
Wir haben in der "Provinz" in Halle an der Saale gelebt. Dank der Chemieindustrie vor den Toren die dreckigste Stadt der DDR. Alles war besser als Halle! Und Urlaub in Berlin das Nonplusultra für mich.



Donnerstag 10.August 89
Der Sommer 1989 war heiß in jeder Beziehung und wir fuhren in der heißesten Zeit nach Berlin.

Mittags sind wir gerade am Bahnhof Friedrichstraße angekommen. Wir haben Urlaub und können ihn bei Bekannten in Berlin verbringen. Links vom Ausgang gibt es eine riesige Menschenmenge.
Was machen die denn hier?
Unglaublich: sie stehen Schlange am Grenzübergang !

Wir gehören nicht zu den Auserwählten, die von Berlin nach Berlin gehen dürfen und laufen gemütlich, aber doch zielsicher auf der Friedrichstraße am Friedrichstadtpalast vorbei nach Norden. Schon sind wir an der Ständigen Vertretung der BRD. In den letzten Tagen haben dort 116 DDR-Bürger Zuflucht gesucht, um ihre Ausreise zu erzwingen. Seit heute ist sie deshalb geschlossen.
Polizei ist kaum zu sehen, doch wir sind sicher, jeder Schritt wird beobachtet. Ich fotografiere trotzdem die Eingangstür mit dem Schild. Dann kommt ein Kamerateam vom ZDF. Nur nicht gefilmt werden. Das ist auch gefährlich.
Wir gehen weiter in Richtung Mauer zum Übergang Invalidenstraße.
Hier ist alles ruhig. Keine Menschenmassen.

In mir kribbelt es. Es drängt mich zu den Grenzern zu gehen und zu sagen: „Ich bin Mieke, wir machen hier Urlaub. Hier ist mein Ausweis! Ich geh mal eben rüber, sehe mir die bunte Seite der Mauer an und heute Abend bin ich wieder hier.“

Warum denn nicht? Mehr will ich doch gar nicht!

Mein Freund kann mich gerade noch zurückhalten. Was wäre passiert!?
Festnahme, Stasiverhöre, Knast. Noch habe ich nicht genug Mut.

Wir gehen zurück zur Friedrichstraße, dann Richtung Reichstagsufer. Man ist gerade dabei den Blick auf das historische Bauwerk, auferstanden aus Brand und Krieg, zuzubauen.
Am Brandenburger Tor ist diese innerliche Angst ist weg. Ich fotografiere und wünsche mir einmal durchlaufen zu können.

Ende August
Unser Urlaub ist zu Ende. Er hat uns wachgeschüttelt.
Nichts wird wieder sein, wie es war. Alles was wir sehen durften, haben wir gesehen. Aber ohne D-Mark sind wir nur Menschen 2.Klasse im eigenen Land.
Wir sind uns einig so kann und darf es nicht weitergehen. Ausreisen kommt für uns nicht in Frage. Wir bleiben hier! Aber wir kuschen nicht mehr.


Freitag,10.November 89
In der Kaufhalle gibt es nur ein Thema: Wann fährst du rüber? Wir sind uns einig: sofort und ohne Visa. Wir probieren es einfach aus. Mittags sitzen wir im Zug nach Berlin. Er ist leer und pünktlich. Von Lichtenberg fahren wir mit der S-Bahn Richtung Prenzelberg, weil ich denke der Grenzübergang Bornholmer Straße ist günstig. Denkste! Alles total überfüllt.
Eine Lautsprecherdurchsage: „Bitte benutzen Sie die anderen Übergänge!“
Also zu Fuß durch halb Berlin Richtung Westen.

16 Uhr stehen wir dann vor dem schon bekannten Übergang Invalidenstraße. Aber kein Vergleich zum Sommer. Autostau bis zur Ständigen Vertretung, Menschen über Menschen.
Während sich die Schlange zügig vorwärts bewegt, erinnere ich mich an den August und kann immer noch nicht glauben was hier passiert.
Ringsum lachende, glückliche, aufgeregte Menschen und überforderte, aber freundliche Beamte.
Wir haben das Tor erreicht. Ein Blick in unsere Ausweise, kein Stempel. Leider! Wie sollen wir jetzt beweisen, dass wir heute hier sind?
Um Fünf sind wir in Westberlin. Ein Spalier von klatschenden, „Willkommen“ rufenden Berlinern, Blumen oder Sekt in den Händen, empfängt uns.

ICH HABE TRÄNEN IN DEN AUGEN UND KRIBBELN IM BAUCH !!

Wir sind auf der bunten Seite der Mauer. Wer hätte das geglaubt?
Gehofft haben wir, dass es einmal so sein könnte, als wir konterrevolutionär geschimpft wurden und Staatsfeinde waren. Am 16.Oktober auf dem Markt in Halle mit Kerzen in den Händen und Angst im Nacken. Videokameras ringsum.

DREI MONATE NACH MEINEM TRAUM: EINFACH HINGEHEN, DURCHGEHEN UND WIEDERKOMMEN, BIN ICH HIER!!!
AM GRENZÜBERGANG INVALIDENSTRASSE HABE ICH DIE ZWEITE STADT BERLIN BETRETEN UND ES WAREN TRÄNEN IN DEN AUGEN UND ES WAR WAHNSINN!!!!!!!



So war das damals und beim Lesen kribbelt es immer noch und ich stehe in Gedanken wieder inmitten der Menschen und keiner kann so recht begreifen, was passiert ist. Wir wissen nur alle: Das ist Geschichte, ein historischer Tag.

Man muss immer wieder mal daran erinnern, warum es heute so ist, wie es ist!

Bis die Tage!
mieke

2 Kommentare:

  1. Bingerade mit Dir in Gedanken gewandert.Damals, als die Grenze aufging.Als Aussenstehende, in einem Land Lebende, in dem man solche "Mauern" nicht kennt, aus einem Land stammend (Westdeutschland),diese ganze Ost-Westbeziehung nur aus dem Geschichtsunterricht oder vom Hörensagen kennenend,steigen auch mir in Erinnerung an die vielen Berichte in den Medien, die Tränen in die Augen. Bin doch näher am Wasser gebaut, als ich dachte.
    Ganz liebe Grüsseaus der Schweiz, Beate

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  2. Liebe Beate!
    Vielen Dank für deinen netten Kommentar. Ich freue mich, dass dich die Zeilen berühren konnten. Mir steigen selbst jetzt beim Schreiben Tränen in die Augen. Über dieses Thema werden wir älteren Ostdeutschen nie ohne Kloss im Hals und Kribbeln im Bauch erzählen können. Es war zu unrealistisch zu denken, dass es je so sein könnte und dann haben wir es doch geschafft!
    Ganz liebe Grüße in die schöne Schweiz von Mieke.

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