"Tag der Deutschen Einheit".
Denn wenn ein Tag wirklich wichtig war in der Geschichte der friedlichen Revolution, dann dieser Montag. Dieser 09.Oktober 1989. An diesem Tag wurden die Weichen gestellt für alles, was danach geschah!
" 9.25 Uhr schalte ich aktuelle „Aktuelle Kamera“ ein. Kein
Wort über die Zustände in der DDR.
Nur Blablabla. Man kann es nicht mehr hören!
Das sage ich auch einer Kollegin meines Vertrauens, welche die ehrenvolle
Aufgabe hat als BGL*-Mitglied die Meinungen der Belegschaft auszukundschaften.
Ihr erzähle ich auch meine Erlebnisse und Gefühle in der Kirche und auf dem
Markt am 7.Oktober.
Inzwischen weiß ich, wem ich Vertrauliches sagen kann und
wer die STASI-Spitzel unter uns sind. Denen erzähle ich gewisse Dinge so, dass
sie prompt dort hinkommen, wo sie gehört werden sollen. Ich habe es
ausprobiert. Mit Erfolg.
Wir wollten heute nach Leipzig zur Demo fahren. Es war
unmöglich. Unterwegs trafen wir eine Verwandte. Sie arbeitet im Hauptbahnhof
und sagte uns, dass es keinen Sinn hätte. Es ist alles abgesperrt und es wird
niemand auf den Bahnsteig Richtung Leipzig gelassen.
Viele Menschen in Ost und West bewegt heute nur eine Frage:
Was wird in Leipzig passieren? Gibt es die ersten Toten?
Zu Hause sitzend werde ich immer ängstlicher. Erschreckend
viele STASI-Leute vom Samstag sind meine Kunden. Sie kennen mich und wissen
genau wo sie mich finden. Doch ich werde nicht abgeholt!
Abends stehe ich im Laden und schon die ersten Kunden kurz
nach sieben erzählen mir von den Zuständen in Halle. Sie kommen jetzt erst von
der Arbeit. Polizeiketten riegeln die Innenstadt ab. Straßenbahnen müssen am
Markt durchfahren. Völlig Unbeteiligte werden geschlagen, es gibt zahlreiche
Verletzte. Staatsterror!
Am schlimmsten trifft es die Besucher der
Montagsmesse in der Marktkirche. Das bereits am Samstag befürchtetet tritt ein: Der enge Schlauch zwischen Treppe und Marktplatz, wird zur Falle. Der Notausgang der Kirche muss geöffnet werden und der Obermarkt ist absolut dicht. Dort wird willkürlich auf LKW verladen und abtransportiert.
Menschenjagd in Halle.
Ich fahre nach 21.00
Uhr zum Markt. Es ist relativ ruhig, aber schon allein das
riesige Polizeiaufgebot erinnert mich fatal an Filmszenen aus der Nazizeit.
In Leipzig gab es einen „Aufruf zur Gewaltlosigkeit“.
Unterzeichnet von namhaften Bürgern der Messestadt, unter
ihnen Kurt
Masur.
Die Vernunft siegte gegen Armee und Polizei.
Die Krankenhäuser und Leichenhallen blieben -Gott und
den Menschen sei Dank- leer.
Zehntausende demonstrierten friedlich und lösten die Oktoberrevolution 1989 aus.
Damit wurde der Riesendruck von uns genommen. Unser Weg auf
die Straße ist der Richtige.
In unseren Medien wird wieder über alles geschwiegen.
Keine Mitteilungen von den Demos in vielen großen Städten unseres
Landes.
Nichts, absolut nichts.
Ohne ARD und ZDF wäre die Interessierte, Fragende hilflos."
* BetriebsGewerkschaftsLeitung
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